Die Polyvagaltheorie, die von Stephen Porges entwickelt wurde, hat einen erheblichen Einfluss auf unser Verständnis von Stress, Emotionen und sozialen Interaktionen. Sie beschreibt, wie das autonome Nervensystem unser Verhalten steuert und wie es auf äußere Reize reagiert. Insbesondere der Vagusnerv, der längste Nerv im menschlichen Körper, spielt dabei eine zentrale Rolle. Dieser Nerv hilft nicht nur dabei, den Körper in einem Zustand der Entspannung zu halten, sondern er beeinflusst auch, wie wir auf Stress reagieren und wie wir mit anderen Menschen in Beziehung treten.
Hier findest du eine kompakte Übersicht zu diesem sehr komplexen Thema.
Der ventrale Vagusnerv sorgt dafür, dass wir in Momenten der Sicherheit und Verbundenheit ruhig und entspannt bleiben. Er aktiviert die Bereiche des Nervensystems, die uns zu positiven sozialen Reaktionen anregen, wie etwa Lächeln, Sprechen und die Fähigkeit, anderen zuzuhören. Wenn dieser Nerv aktiv ist, fühlen wir uns in sozialen Situationen sicher und können tiefere Beziehungen aufbauen. Viele Menschen erleben das, wenn sie mit vertrauten Personen zusammen sind und sich wohl und geborgen fühlen.
Im Gegensatz dazu reagiert der sympathische Nerv, wenn wir uns bedroht fühlen. Diese Reaktion ist evolutionär bedingt und wurde entwickelt, um uns in gefährlichen Situationen schnell handeln zu lassen – entweder zu kämpfen oder zu fliehen. Die Reaktionen des sympathischen Nervensystems können jedoch auch in weniger bedrohlichen Situationen aktiviert werden, was zu unnötigem Stress führt. Wenn der Körper ständig im "Kampf-oder-Flucht"-Modus bleibt, können langfristige gesundheitliche Probleme entstehen, wie etwa chronischer Stress, Angstzustände und sogar körperliche Beschwerden wie Bluthochdruck.
In extremen Stresssituationen kann das dorsale Vagus-System aktiviert werden, was zu einem Zustand der "Erstarrung" führt. In diesem Zustand fühlt sich die Person möglicherweise überwältigt und hilflos. Das Nervensystem schaltet dann in einen Zustand der Taubheit, um den Stress zu überstehen. Solche Reaktionen sind häufig mit traumatischen Erfahrungen verbunden und können es den Betroffenen erschweren, aus solchen Zuständen herauszukommen, ohne gezielte therapeutische Unterstützung.
Wenn mehr Menschen ein besseres Verständnis der Polyvagaltheorie haben und lernen, ihre eigene physiologische Reaktion auf Stress zu erkennen, könnte das zu einer drastischen Verbesserung ihrer emotionalen und sozialen Gesundheit führen. Menschen würden erkennen, wann ihr Körper in einen Zustand der Alarmbereitschaft übergeht, und sie könnten lernen, bewusst in einen entspannteren Zustand zu wechseln, um ihre eigene Resilienz zu stärken. Einfache Techniken wie tiefes Atmen, Achtsamkeit und soziale Interaktion könnten dazu beitragen, das Nervensystem zu beruhigen und den ventralen Vagus zu aktivieren, wodurch ein Zustand der Ruhe und Entspannung erreicht wird.
Ein größerer gesellschaftlicher Fokus auf die Polyvagaltheorie könnte auch das Verständnis und die Behandlung von psychischen Erkrankungen verbessern. Wenn mehr Menschen erkennen, dass Trauma und chronischer Stress oft körperliche Reaktionen im Nervensystem auslösen, könnte dies zu weniger Stigmatisierung und mehr Unterstützung für diejenigen führen, die mit den Auswirkungen von Trauma kämpfen. Eine Gesellschaft, die die Bedeutung von emotionaler und körperlicher Sicherheit versteht, würde mehr Raum für Heilung und gegenseitige Unterstützung schaffen.
Zusammengefasst ist die Polyvagaltheorie nicht nur ein wissenschaftliches Konzept, sondern eine praxisorientierte Methode, die unser tägliches Leben tiefgreifend beeinflussen kann. Sie bietet nicht nur Einsichten in unsere biologischen Reaktionen auf Stress, sondern auch in die Art und Weise, wie wir als Menschen miteinander interagieren. Ein besseres Verständnis dieser Theorie könnte die Grundlage für eine empathischere, gesündere und stärkere Gesellschaft sein.
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